Geboren bin ich in
Köln, wo der Rhein, seiner mittelrheinischen
Lieblichkeit überdrüssig, breit
wird, in die totale Ebene hinein auf
die Nebel der Nordsee zufließt;
wo weltliche Macht nie so recht ernst
genommen worden ist, geistliche Macht
weniger ernst, als man gemeinhin in deutschen
Landen glaubt; wo man Hitler mit Blumentöpfen
bewarf, Göring öffentlich verlachte,
den blutrünstigen Gecken, der es
fertigbrachte, sich innerhalb einer Stunde
in drei verschiedenen Uniformen zu präsentieren;
ich stand, zusammen mit Tausenden Kölner
Schulkindern Spalier, als er in der dritten
Uniform, einer weißen, durch die
Stadt fuhr; ich ahnte, daß der
bürgerliche Unernst der Stadt gegen
die neu heraufziehende Mechanik des Unheils
nichts ausrichten würde; geboren
in Köln, das seines gotischen Domes
wegen berühmt ist, es aber mehr
seiner romanischen Kirchen wegen sein
müßte; das die älteste
Judengemeinde Deutschlands beherbergte
und sie preisgab; Bürgersinn und
Humor richteten gegen das Unheil nichts
aus, jener Humor, so berühmt wie
der Dom, in seiner offiziellen Erscheinungsform
schreckenerregend, auf der Straße
manchmal von Größe und Weisheit.
Geboren in Köln,
am 21. Dezember 1917, während mein
Vater als Landsturmmann Brückenwache
schob; im schlimmsten Hungerjahr des
Weltkrieges wurde ihm das achte Kind
geboren; zwei hatte er schon früh
beerdigen müssen; während mein
Vater den Krieg verfluchte und den kaiserlichen
Narren, den er mir später als Denkmal
zeigte. "Dort oben", sagte
er, "reitet er immer noch auf seinem
Bronzegaul westwärts, während
er doch schon so lange in Doorn Holz
hackt"; immer noch reitet er auf
seinem Bronzegaul westwärts. Meine
väterlichen Vorfahren kamen vor
Jahrhunderten von den Britischen Inseln,
Katholiken, die der Staatsreligion Heinrichs
VIII. die Emigration vorzogen. Sie waren
Schiffszimmerleute, zogen von Holland
herauf rheinaufwärts, lebten immer
lieber in Städten als auf dem Land,
wurden, so weit von der See entfernt,
Tischler. Die Vorfahren mütterlicherseits
waren Bauern und Bierbrauer; eine Generation
war wohlhabend und tüchtig, dann
brachte die nächste den Verschwender
hervor, war die übernächste
arm, brachte wieder den Tüchtigen
hervor, bis sich im letzten Zweig, aus
dem meine Mutter stammte, alle Weltverachtung
sammelte und der Name erlosch.
Meine erste Erinnerung:
Hindenburgs heimkehrende Armee, grau,
ordentlich, trostlos zog sie mit Pferden
und Kanonen an unserem Fenster vorüber;
vom Arm meiner Mutter aus blickte ich
auf die Straße, wo die endlosen
Kolonnen auf die Rheinbrücken zumarschierten;
später: die Werkstatt meines Vaters:
Holzgeruch, der Geruch von Leim, Schellack
und Beize; der Anblick frischgehobelter
Bretter, das Hinterhaus einer Mietskaserne,
in der die Werkstatt lag; mehr Menschen,
als in manchem Dorf leben, lebten dort,
sangen, schimpften, hängten ihre
Wäsche auf die Recks; noch später:
die klangvollen germanischen Namen der
Straßen, in denen ich spielte:
Teutoburger-, Eburonen-, Veledastraße,
und die Erinnerung an Umzüge, wie
mein Vater sie liebte, Möbelwagen,
biertrinkende Packer, das Kopfschütteln
meiner Mutter, die ihren Herd liebte,
auf dem sie das Kaffeewasser immer kurz
vor dem Siedepunkt zu halten verstand.
Nie wohnten wir weit vom Rhein entfernt,
spielten auf Flößen, in alten
Festungsgräben, in Parks, deren
Gärtner streikten; Erinnerung an
das erste Geld, das ich in die Hand bekam,
es war ein Schein, der eine Ziffer trug,
die Rockefellers Konto Ehre gemacht hätte:
1 Billion Mark; ich bekam eine Zuckerstange
dafür; mein Vater holte die Lohngelder
für seine Gehilfen in einem Leiterwagen
von der Bank; wenige Jahre später
waren die Pfennige der stabilisierten
Mark schon knapp, Schulkameraden bettelten
mich in der Pause um ein Stück Brot
an; ihre Väter waren arbeitslos;
Unruhen, Streiks, rote Fahnen, wenn ich
durch die am dichtesten besiedelten Viertel
Kölns mit dem Fahrrad in die Schule
fuhr; wieder einige Jahre später
waren die Arbeitslosen untergebracht,
sie wurden Polizisten, Soldaten, Henker,
Rüstungsarbeiter - der Rest zog
in die Konzentrationslager; die Statistik
stimmte, die Reichsmark floß in
Strömen; bezahlt wurden die Rechnungen
später, von uns, als wir, inzwischen
unversehens Männer geworden, das
Unheil zu entziffern versuchten und die
Formel nicht fanden; die Summe des Leidens
war zu groß für die wenigen,
die eindeutig als schuldig zu erkennen
waren; es blieb ein Rest, der bis heute
nicht verteilt ist.
Schreiben wollte ich
immer, versuchte es schon früh,
fand aber die Worte erst später.
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